Obsession mit der Zahl 55


2015, photos, Maße variabel, installation view at
documenta-Halle Kassel 2015




detail view  at documenta-Halle Kassel 2015




detail view


Obsession mit der Zahl 55

Es macht Sinn, an dem Prozess zu beginnen, der den Namen am augenscheinlichsten prägt: ein Kasseler Briefmarkensammler durchforstet städtische Papiertonnen nach alten Briefumschlägen. Eine Kiste, die den ungewollten Ausschuss beinhaltet, verkauft er für fünf Euro auf dem Flohmarkt. Der Verkauf markiert den Beginn des künstlerischen Eingriffs. Doch schon dem Kauf geht ein verschachteltes Wertesystem voran: ein Stück Papier wird mit der monetären Aufwertung durch die Briefmarke in ein Postsystem geführt, durch Abstempeln entwertet, vom Empfänger wertlos in den Papiermüll geworfen, vom Finden des Sammlers erneut aufgewertet, und letztendlich als Ausschuss deklariert wieder abgewertet.
Doch der künstlerische Eingriff und das entstandene Ordnungssystem führen zu einer Obsession mit der Zahl Fünfundfünfzig und ihrem Auftreten.

Durch Betrachtung verändert sich das Betrachtete. Ferner, durch das Fokussieren auf eine einzige Zahl beginnt sie überall aufzutreten.
Und so führt die Suche nach der Fünfundfünfzig zur Seitenzahl Fünfundfünfzig. Trotz der gleichen Ziffern unterscheidet sich die Zahl auf der Seite doch fundamental von ihrem Briefmarkenpendant. Wo alle Fünfundfünfzig-Cent-Marken als Phänomene eines großen (Post-)Systems auftraten, ist jede Seitenzahl Fünfundfünfzig Teil eines einzelnen Systems: das der Logik und Dramaturgie ihres zugehörigen Buchs.

Also wird die Zahl zunächst gehortet. Aus Büchern, die in öffentlichen Regalen zum Tauschen abgelegt werden, wird lediglich die Fünfundfünfzig vorsichtig herausgetrennt. Diese Sammlung von Seitenzahlen ist eine Sammlung abstraktester Materie. Ihrem zweckmäßigen System entrissen, aufgeladen mit der Magie des Buchs, aus dem sie stammen, wird ihr Fehlen zum Irritationsmoment zukünftiger Buchtauscher. Die Fünfundfünfzig wird zur Frage nach und zur Identifikation mit der herausreißenden Wiederholungstäterin.

In einem weiteren Betrachtungsschritt wird jede einzelne Seitenzahl geknickt. Mit nur einem Handgriff wird eine stabile Grundform – ein Dreieck – hergestellt und die Zahl aus ihrem ewigen zweidimensionalen Dasein buchstäblich in die Dreidimensionalität erhoben; nur um durch den darauffolgenden Blick der Fotokamera wieder in das flache Archiv zu zerfallen.
Dieser Gedanke wird bestärkt durch den Magentafilter der Fotos: der Betrachtungsstandpunkt wird erneut geändert. Das Dreieck tritt wieder in den Hintergrund. Die Zahl, ihre Einzigartigkeit in ihrem Buch und die Jagd auf sie wird nebensächlich – was bleibt, ist eine Sammlung von Betrachtungen von Betrachtungen. Ein großes Archiv, das in seiner Magentamasse Assoziationen an die Innenseite von Briefumschlägen weckt. Der Kreis schließt sich scheinbar, doch einige wenige geknickte Fotografien erinnern an die Offenheit des Prozesses.